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EINE VON EUROPAS SCHÖNSTEN MODELLEISENBAHNEN

 

Wo die Kohlen eigentlich Pfefferkörner sind          

von Bianca Hennings

 

Manfred Rüger aus Wallenfels baute sich trotz seiner Behinderung seine Traumanlage.

 

WALLENFELS - Realistisch - ein Wort, das bei Manfred Rüger eine große Rolle spielt. "So realistisch wie möglich", "das ist realistischer", oder "das sieht sehr realistisch aus". Das sind Sätze, die im Gespräch mit ihm immer wieder fallen.  Damit umschreibt er seine Modellbahn im Stil der 50er-Jahre. Sie ist eine so genannte N-Anlage, was bedeutet, dass alles, was auf ihr zu finden ist, 160-mal kleiner als im Original ist.

 

Mit dieser Anlage hat Manfred Rüger beim "6. großen internationalen Modellbau-Wettbewerb des Eisenbahn-Journals", einer Fachzeitschrift für Modelleisenbahner, in seiner Kategorie den ersten Platz gewonnen. Bis zu diesem Zeitpunkt hat bei dieser Veranstaltung noch keine N-Anlage eine so hohe Punktzahl erreicht.

Und:  

Rügers nicht transportable Anlage übertraf sogar fast die beste H0-Anlage, die einen doppelt so großen Maßstab hat und daher in der Regel auch dem Original detailgetreuer nachgebaut werden kann!

 

Was aber diesen Preis so einzigartig macht: Manfred Rügers rechter Arm ist seit einem Motorradunfall vor 15 Jahren gelähmt. Er konnte seine Anlage demnach nur mit einer Hand bauen! "Bei dem Wettbewerb hab' ich das aber verschwiegen. Ich wollte keinen Behindertenbonus", sagt der 38-Jährige.

 

Schon als kleiner Bub schwärmt der Wallenfelser für Modelleisenbahnen.  Später  schläft die Leidenschaft etwas ein. "Als 20-Jähriger hat mich dann der Virus wieder gepackt. Ich wollte selber eine Anlage bauen" erinnert er sich. Als er mit dem Projekt beginnt, passiert der Motorradunfall. Ein Pkw-Fahrer nimmt ihm die Vorfahrt. Sein rechter Arm ist gelähmt.

 

Wegen dieser Behinderung und einer Vielzahl anderer Verletzungen kann er nicht mehr arbeiten. Viele Träume müssen plötzlich begraben werden. Doch den Traum von der eigenen Modelleisenbahn will Manfred Rüger nicht aufgeben.

 

Beim Bau seines Hauses wird ein Zimmer eingeplant, in dem später mal die Modelleisenbahn untergebracht werden soll. "Ich wollte mir eigentlich eine bauen lassen, von einem professionellen Modellbahnbauer", erzählt er. Dann probierter es aber doch selbst - mit einer Hand!          

Und siehe da, es klappt ganz gut. So macht er sich an die Planung seiner N-Anlage. "Meine Behinderung war für mich ein Ansporn. Ich wollte es trotzdem gut hinbekommen. Hätte ich die Behinderung nicht, wäre die Anlage wohl nie so geworden, wie sie jetzt ist", sagt er stolz. Fast 4 1/2 Jahre feilt er an seiner Modelleisenbahn, die eine zweigleisige Hauptstrecke mit abzweigender Nebenbahn und zwei unterirdische Bahnhöfe, so genannte Schattenbahnhöfe, umfasst. Wegen seines Gesundheitszustandes sitzt er allerdings nie länger als eine Stunde am Stück über der Arbeit. "Und ich werde wohl nie fertig werden, weil sich immer noch eine Kleinigkeit findet", meint er.

 

Betrachtet man sich sein in L-Form aufgebautes Schmuckstück mit den Schenkelmaßen 3,80 und 3,10 Metern und einer Tiefe von teilweise bis zu 110 Zentimetern, weiß man, was der 38-Jährige damit meint. Da sind z.B. kleine Pilze aus Stecknadelköpfen gebastelt, Schilf aus Pinselborsten gemacht, oder ein Weidezaun für Kühe, dessen Holz-Pfosten aus Stecknadeln und die Querbespannung aus Spulendraht gefertigt wurden. Da gibt es einen Misthaufen mit Hühnern drauf, einen See mit Schwänen, einen Garten mit Gemüsebeeten, Fahrräder, Straßenlaternen, Hydranten, Gullydeckel, Kuhfladen ... Sogar Tauben sieht man auf 'nem Dach sitzen. Das gibt den Ausschlag für den Titel der Anlage "Die Taube auf dem N-Dach".  

 

" Will man in N was Gutes machen, muss man sich umsehen, dass man was herbekommt, oder man macht's selber", erklärt Manfred Rüger. Deshalb entschließt er sich auch, keine "Geisterautos" auf seiner Anlage "fahren zu lassen". Die Fahrzeuge, die es auf dem freien Markt zu kaufen gibt, sind in der Regel nämlich unbemannt. In sämtliche Autos (ausgenommen geparkte) passt der 38-Jährige also Figuren ein. "Das war eine Sauarbeit". Die Figuren mussten allesamt durchs Fenster rein. Manchmal war's so verdammt eng, dass ich den Kopf abgetrennt, dann den Körper reingesetzt und anschließend den Kopf wieder draufgeklebt hab!"

 

Und weil alles so realistisch wie möglich aussehen soll, legt er selbst noch Hand an viele gekaufte Dinge an. Seine Häuser beispielsweise sind Bausätze, die er alle nochmal mit Modellbahnfarben anmalt: "Sonst sehen die aus wie Spielzeug.

Sämtliche Fahrzeuge "altert" Manfred Rüger mit Airbrush. 

 

Auch die Landschaft, die ganz Rügers Fantasie entsprungen ist, fertigt er größtenteils selbst. 

Die vielen Fichten, die seine Anlage zieren, sind "billige" Flaschenbürstenbäume, die er mit einer Schere auslichtet und dann mit Schaumstoffflocken beklebt. "Ich hab bei den Flocken verschiedene Farben ausprobiert. Bin mit Probebäumchen raus in die Natur gefahren und hab dort verglichen, was dem Original am Nächsten kommt", erinnert er sich schmunzelnd. 

 

Für viele Dinge muss sich Manfred Rüger erst Vorrichtungen bauen, um mit einer Hand zu Rande zu kommen. Doppelklebeband ersetzt im oft die rechten Finger, um Sachen zu fixieren. Auch sein Mund hilft ihm zuweilen weiter. Beim Löten umwickelt er zum Beispiel den Lötdraht erst mit Klebeband und hält den Draht dann mit den Zähnen fest, während er mit der linken Hand den Lötkolben führt. Geht gar nix mehr, hilft im auch schon mal seine Frau.

 

Manfred Rüger steht an seinem Stellpult und lässt seine Züge fahren, kuppelt ab und wieder an, stellt Weichen, entleert Waggons mit Kohlen, die eigentlich Pfefferkörner sind, lässt die Züge pfeifen und hupen, einen Misthaufen dampfen, Vögel zwitschern, einen Bach plätschern, Frösche quaken und vieles mehr. 

 

Seine Augen leuchten, während die Züge hin- und herrattern: "Hier kann man sich stundenlang beschäftigen, ohne auch nur einmal das Gleiche gemacht zu haben." 

 

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